Netzwerke als Ressource: Strategien der Kapitalakkumulation von Richtern im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
Referat im Panel Staatsdiener: Rollenverständnis und gesellschaftliche Ressourcenverteilung im epochenübergreifenden Vergleich
Die Bürokratiegeschichte orientiert sich weiterhin an Max Webers Soziologie, der zufolge Ämter in der Neuzeit nicht mehr erblich, sondern nach fachlicher Eignung vergeben werden. Dieses Professionalisierungsnarrativ ist gerade auch für die Geschichtsschreibung der Rechtsprechung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert prägend. Eine Losung von damals, die auch hin der Forschung immer wieder angeführt wird, ist die von der „Unabhängigkeit des Richters“, der bei der Urteilsfindung weder den Weisungen der Justizverwaltung folgen sollte, noch über seine Verwandten zu Gericht sitzen durfte, um seine Neutralität zu wahren. Diese Losung, kombiniert mit Webers Professionalisierungsnarrativ, erzeugt ein Bild von Richtern, die sich von der Gesellschaft distanzieren, um ihre Entscheidungen in „kognitiver Selbstisolation“ (Niklas Luhmann) zu fällen. Der soziologische Idealtypus bedarf einer Korrektur. Grundlage hierfür sind Biographien und Autobiographien von Richtern aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik. Sie stellen die richterliche Persona eingebunden in verschiedene soziale Netzwerke dar und werfen die Frage nach ihrem beruflichen Selbstverständnis auf. Die Biographiewürdigkeit von Richtern hing weniger von herausragenden beruflichen Leistungen ab, als von der Konventionalität ihrer Lebensführung. Damit sie als vertrauenswürdig galten, mussten sie ihre Verbundenheit mit dem bürgerlichen Wertehimmel demonstrieren – eine bloße Konzentration auf ihr Amt war nur schwer denkbar, nicht zuletzt wegen der damaligen Kritik an der Entfremdung der Rechtsprechung von der Bevölkerung. Wie im Vortrag gezeigt werden soll, waren Netzwerke gerade auch für denjenigen Teile des Bürgertums, aus denen sich Staatsbeamte rekrutierten, ein wichtiges Distinktionsmittel. Exemplarisch werden die verwandtschaftlichen und beruflichen Netzwerke von Richtern – ihr soziales und symbolisches Kapital – analysiert, die es ihnen überhaupt erst ermöglichten, ihre juristischen Karrieren zu verfolgen.